Lieber Michael,
was macht einen Menschen aus, der in seiner Persönlichkeitsentwicklung schon "fortgeschritten" ist, der erwachsen ist? Was kennzeichnet ihn, welche "Punkte" hat er bei sich gestärkt und entwickelt?
Du schriebst mir, Du habest viel gelesen, viel nachgedacht und wieder gelesen....
Um zu verstehen, um zu wachsen, muss das Gelesene auch "richtig" interpretiert und verstanden werden. Sonst sitzt man doch einem Irrtum auf, ohne es zu bemerken!
Wenn du magst, könntest Du Dir untenstehende Texte bitte einmal durchlesen? Es ist ein extrem langer Text. Aber mich würde es sehr interessieren, wie Du ihn interpretierst und verstehst.
.......
Hier unterbreche ich - ausnahmsweise - eine Mail und kürze sie ein. Diese ellenlangen und auch langatmigen Texte, die hier an dieser Stelle nun folgen und die ich Michael zum Lesen gab, die möchte ich Euch nämlich nicht zumuten . Wovon die Texte handelten beschrieb ich ja schon kurz. So lasse ich hier nur einige Schlag- und Stichworte stehen, um die Grundströmung der Texte aufzuzeigen.
… Die Lehre vom Nicht-Ich ……. Hören wir Buddhas eigene Worte:
"Die ganze Welt ist wesenlos. Wer dies mit weisem Sinne sieht wird bald des Leidenslebens satt: Das ist der Weg zur Läuterung." ….
----------
Ich wünsche Dir einen wundervollen Tag
Lotte
Liebe Lotte,
ich halte den Buddhismus für eine im wahrsten Sinn des Wortes "trostlose" Lehre (man könnte auch Leere sagen ).
Ich hatte mir zwischendurch öfters gedacht, dass sie Dir nicht gut tut. Eine Lehre, die uns einzureden versucht, dass das Ich eine Illusion sei, ist ein Nährboden dafür, dem Ich keine Bedeutung und auch keine Liebe zu Teil werden zu lassen.
Es widerstrebt mir und entspricht auch nicht meiner Erfahrung, das Leben als eine Quelle von Leiden zu betrachten.
Es ist im fatalen Sinn folgerichtig, auch keine Freuden mehr im Leben zu sehen; jede Wiedergeburt als eine Strafe und als neue Quelle von Leid und als Lösung eine Art von Nichts (Nirwana).
Die Faszination auf europäische Geister ging immer vom Mitleid aus. Schopenhauer (Lehrer von Nietzsche) entwickelte daraus seine Mitleidsethik.
Selbstverständlich ist Mitleid ein wichtiges menschliches Gefühl, aber keineswegs auf den Buddhismus beschränkt, für den selbiges im Übrigen auch nur eine von vielen Illusionen ist, von denen man sich befreien muss.
Liebe Grüße, Michael
Lieber Michael,
Du hast Dir tatsächlich diese ganzen langen Texte durchgelesen!
Die Frage, die sich für mich hier stellt, ist weniger, ob diese Lehre () mir guttut, sondern ob sie wahr ist!
Es stimmt schon - je intensiver man sich damit beschäftigt, desto weniger Trost gibt sie. Aber sie will ja auch keinen Trost geben, sondern alle "Illusionen" entlarven.
Auch für mich ist dieses endgültige Ziel - das "Erlöschen", wie es auch genannt wird - nichts, dass ich mit frohem Herzen anstreben kann; nichts, das sich auch nur ansatzweise gut anfühlt. Wenn man es einmal wirklich bis ganz zuende denkt, fühlt es sich beängstigend und vernichtend an. Ich merke nun, wie sich das, was wir beide hier tun, in keiner Weise mit dem verträgt was ich im Bezug auf diese Lehre zu verstehen glaube.
Entweder ich habe alles was dort "gelehrt" wird völlig falsch interpretiert, oder es stimmt da etwas nicht.
Du schreibst es ja auch: Ich kann nicht versuchen mich zu lieben, mich zu stärken solange ich davon ausgehe, dass dieses "Ich" eh überwunden werden soll, da es nur eine Illusion ist. Und ich habe damit – mit meinem „Ich“ - sowieso schon große Probleme.
Dabei gilt auch im Buddhismus, man solle andere genauso lieben wie sich selbst. Das ist doch aber ein Widerspruch - wer kann denn eine Illusion lieben.
Ich kann mir nicht bewusst Freude suchen, solange ich glaube, dass Freude nur "unerkanntes Leid" ist, das dazu führt, sich an etwas zu hängen, das vergänglich und daher zu überwinden ist.
Deine Ansicht dazu hilft mir sehr! Denn bisher glaubte ich, mein Unbehagen bei der Beschäftigung käme daher, dass ich etwas falsch oder schief interpretiere. Darum die von mir empfundenen Widersprüche.
Ich muss von vorne beginnen. Es stimmt so nicht mehr.
Auch wenn ich draußen in der Natur bin, dort alles bewusst wahrnehme spüre ich das.
Du glaubst an einen "festen Kern" in uns?
Einen lieben Gruß
Lotte
Liebe Lotte,
ich habe mich mit allen Religionen beschäftigt, sonst könnte ich Dir nicht mehr oder weniger aus dem Stegreif auf so einen „verschwurbelten“ Text antworten.
Ich halte den Buddhismus für eine menschenfeindliche Lehre. Nachdem sie regional doch auf Südostasien beschränkt ist, ging ich davon aus, dass sie vielleicht der Mentalität der dort lebenden Menschen entgegen kommt. Das weiß ich aber nicht. Jedenfalls stecken im Buddhismus mehr Widersprüche als Lösungen und fast glaube ich, dass er ein Teil Deiner Probleme ist.
Im Übrigen glaube ich an keine der Religionen; sie erfüllen zwar tiefe Bedürfnisse der Menschen, aber sie sind Menschenwerk. Lange vor irgendwelchen "offiziellen" Religionen wurden Menschen schon in West-Ost-Richtung begraben, damit sie so wie die Sonne wieder auferstehen können. In jeder Religion gibt es auch durchaus Nachdenkenswertes. Als Gesamtgebäude halte ich sie allesamt für nicht tauglich. Ich glaube lieber an das, was ich mir erlesen, erdacht und erarbeitet habe. Einiges davon sagte ich schon. Dass es einen Gott geben muss, liegt in der Schöpfung begründet. Philosophisch gesehen, wäre ein Nichts genauso realistisch, wie ein Etwas. Indem etwas ist, muss es eine Ursache dafür geben. Wir waren es jedenfalls nicht.
Je mehr man in die Welt hineinleuchtet, desto geheimnisvoller wird sie. Auf atomarer Ebene wird die uns so fest erscheinende Materie fast vollständig leer und bestenfalls zu einem Pulsen von Energie. Alle großen Physiker wurden nach einer atheistischen Phase wieder religiös (in einem allgemeinen Sinn), weil Erklärungen allein aus der Materie heraus nur in Sackgassen führen. Bis heute kann niemand erklären, was „Leben“ eigentlich ist und ausmacht.
Wenn wir tief in uns hineinblicken, dann wissen wir auch, dass Leben wohl einen Zweck erfüllen soll (auch wenn wir ihn zu Lebzeiten nicht erkennen können). Weil es ein Davor und ein Danach gibt muss das Leben an sich einen Sinn haben. Und wenn wir uns nicht selbst fest verschließen, erreichen uns Botschaften aus der „Anderswelt“. Einen „festen Kern“ haben die allermeisten Kulturen für selbstverständlich gehalten. In unserem Kulturraum nannte man das immer Seele.
Liebe Grüße, Michael
Lieber Michael,
mein Hauptproblem scheint zu sein, dass ich nicht mit meinen Gefühlen umgehen kann, und mit mir ebenso wenig. Anstatt mich damit intensiv auseinanderzusetzen und daran zu arbeiten, habe ich dann wohl etwas gesucht, dass mir beim "Ausblenden" hilft.
Einiges in der buddhistischen Lehre hat mich tief berührt und berührt mich noch heute. Aber vieles habe ich mir nach und nach einfach "aufgezwungen", ohne darauf zu achten ob es sich richtig und gut anfühlt. Meinen Gefühlen vertraute ich noch nie – was also hätte ich als "letzte Instanz" nutzen können!
Durch unser Gespräch und dem was ich dabei gefühlt, erlebt und erfahren habe, weiß ich nun, dass ich so nicht mehr leben möchte. Ich möchte in mir spüren was richtig und was falsch ist, möchte mit mir und meinen Gefühlen leben. Ich will nichts Fertiges übernehmen, sondern mir meine Überzeugungen selbst bilden; schauen, was ich in mir finde.
Heute werde ich meine halbe Stunde Ordnung dazu verwenden um mit dem Buddhismus „abzuschließen“. Ich werde alles in eine Kiste packen und gut verstauen. Vielleicht hilft mir das, um noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Dieses Mal möchte ich es gerne "richtig" machen.
Einen ganz lieben Gruß, hab einen schönen Tag
Lotte
« zurück Seite 38 nächste Seite »