Lieber Michael,

das Haiku ist wunder-wunderschön!  emoticones emoticones

 

Wenn die Geschlechter so unterschiedlich sind, beide etwas ganz anderes brauchen, wie kann es dann jemals gelingen, dass beide zusammen glücklich sein können?
Nun heul ich schon beim Spaziergang mit dem Hund; zum Glück begegnete mir heute niemand. Und vorhin bin ich in Tränen ausgebrochen, als meine Tochter mich fragte, was heute mit mir los sei. Vor ihr! Und ohne das in irgendeiner Weise aufhalten zu können. Das ist mir noch nie passiert. Jetzt sitze ich da und weine einfach ständig; es hört nicht mehr auf.

Liebe Grüße, Lotte

Liebe Lotte,

 

heulen muss nicht schlecht sein. Vielleicht musst Du viele ungeweinte Tränen nachweinen. Ziemlich am Anfang habe ich Dir einmal geschrieben, dass Du Dich um Freude kümmern musst. Denn nach einem Herauslassen von Trauer ist es wichtig, sich auf Erfreuliches umzustimmen.

 

Liebe Grüße, Michael emoticones

Unsere Unterhaltung ging tiefer und tiefer. Aus dem Familienleben zog ich mich noch mehr zurück als sonst und schlief nur noch wenig. Dafür ging ich, so oft es ging, nach draußen in die Natur; um zu weinen, zu spüren - und um über Michaels Worte nachzudenken. Sie hatten große Wirkung auf mich. In mir brodelte es.

 

Dadurch, dass ich immer tiefer in meine Gefühlsinnenwelt eintauchte, verlor ich beim Schreiben mit Michael mein Alltags-Ich, schrieb ihm „von dort drinnen“ – was sich deutlich in den Mails widerzuspiegeln begann. Ich schrieb ohne Schutz und Masken.

Ein paar Tage zuvor hatte Michael erwähnt, ich würde wohl das Wünschen lernen müssen. In mir wuchs der Impuls, hierauf einzugehen, bis ich es dann Tage später tat. Mit angehaltenem Atem schickte ich es los - weil ich es kaum wagte.

Lieber Michael,


ich wünsche mir, geliebt zu werden. So, dass ich diese Liebe in mir fühlen kann.
Ich wünsche mir, ebenso lieben zu können.
Ich wünsche mir Verständnis und Geborgenheit, das Gefühl "zu Hause" zu sein.
Ich wünsche mir, mich nicht alleine zu fühlen, wünsche mir, dass sich nicht nur Körper treffen, sondern sich die Seelen berühren.
Ich wünsche mir gegenseitiges Vertrauen, Offenheit - um über alles reden zu können, ohne Angst haben zu müssen, abgewiesen oder nicht verstanden zu werden.
Ich wünsche mir, gemeinsam schweigen zu können und sich dabei ganz nah zu sein.

Lieben Gruß, Lotte

Liebe Lotte, das war wunderschön! smile smile smile
Ja, genauso soll es sein.
Das ist natürlich weiblich formuliert, aber das wünscht sich auch ein Mann. Er hätte zwar Angst, das so zu sagen, weil er doch so ein cooler, beherrschter Typ ist, aber schön wäre es schon. biggrin

Nun hast Du Dir endlich was gewünscht! Und ein Bild geschaffen, über das Du Dich freuen könntest.
Wenn Du einen Anlass siehst - beispielsweise eine weitere Medizin-Empfehlung Deines Mannes mad - könntest Du ihm genau das als Briefchen oder E-Mail (je nach eurem Hausgebrauch) geben, damit er weiß, was Du wirklich brauchst.

Und dann lass Dich nicht abwimmeln, mit Liebesromanen und so!

Nicht Du hast ein Problem, die Lieblosigkeit Dir gegenüber ist das Problem - wahrscheinlich inklusive routinierter, aber seelenloser Körpertreffen.

 

Liebe Grüße, Michael  emoticones emoticones

Lieber Michael,

so eine Antwort hatte ich nicht erwartet. Danke. emoticones
Du bist ein ganz besonderer Mensch. smile Deine Hilfe, diese Gespräche … das Schreiben mit Dir ist für mich etwas sehr Wertvolles!


Ich wusste nicht, dass man so viele Tränen vergießen kann. Aber ich habe mir heute versprochen, weder meine Gefühle noch meine Wünsche jemals wieder wegzusperren. Ich habe keine Ahnung, was da noch kommt, wenn ich diese kleine Öffnung nun offenhalte, aber ich möchte es versuchen.

Du weißt ja schon sehr viel über mich. Wusstest du auch, dass ich ein absoluter Angsthase bin? biggrin
Im Ernst, ich bin ein Feigling. Ich habe Angst davor, mit meinem Mann über mich und meine Gefühle zu reden. Ich weiß, dass mir nichts passieren wird; im Kopf weiß ich das genau. Aber er kann so "laut" sein, kann mich ganz wunderbar zerlegen – das, was ich sage, so lange missverstehen und dessen Sinn verdrehen, bis ich nicht mehr weiter weiß.

Möglicherweise tue ich ihm aber Unrecht und er reagiert ganz anders. Wenn ich mir vorstelle, ich rede mit ihm über diese für mich so "empfindlichen Dinge", die ich ja im Moment selbst nur ganz vorsichtig berühren kann, und er tritt dann drauf (auch wenn es ohne Absicht geschieht) – ich bin mir nicht sicher, ob ich damit umgehen kann. 
Trotzdem freunde ich mich gerade mit dem Gedanken an, mit ihm zu reden - weil mir wohl keine andere Wahl bleiben wird.

Meine Güte, warum nur stell ich mich so an! mad  Ich kann doch reden und bin sonst nicht auf den Mund gefallen!

 

Lieben Gruß, Lotte emoticones

Liebe Lotte,

das ist gut, dass Du Dich gestern ein wenig ausgeweint hast!
Solche angedachten Gespräche sind nicht einfach; da musst Du noch nicht einmal ein Angsthase sein, um davor Bammel zu haben.
Ich glaube, hier sind taktische Überlegungen nicht falsch - wenn Dein Mann zur lauten Dominanz neigt biggrin. Möglicherweise könntest Du mit ein paar Zeilen beginnen, die dann in ein Gespräch münden.
Anlass für solche Zeilen könnten sein, dass es Dir besser geht und Du nun weißt, was Dir so zu schaffen macht(e).
Das sind aber nur allererste Anregungen dazu. Ich helfe Dir natürlich auch gerne bei taktischen Überlegungen!

Liebe Grüße, Michael  emoticones

 

Lieber Michael,

es sind keine taktischen Überlegungen mehr nötig; mein Mann und ich haben gestern noch miteinander gesprochen. Es ging nicht anders, nachdem ich Deine Mail gelesen hatte, nach dem, was wir schrieben. Ich konnte nicht am Abend TV schauen und über Alltäglichkeiten reden - während in mir drin die Tränen brannten. Also nahm ich mein bisschen Mut zusammen - und hab einfach angefangen. Ich redete und weinte und redete und weinte .
Den Zettel mit meinen Wünschen hatte ich schon vorbereitet biggrin den gab ich ihm auch gleich noch. scham
Er war geschockt, zuerst mal sprachlos, ein bisschen wütend und sehr hilflos.
Meine "Wunschliste" las er mindestens 20-mal und fand sie "typisch Lotte“.

Er meinte, er kenne mich ja inzwischen lange genug, um zu wissen, dass ich in solchen Dingen völlig anders sei als "andere Menschen". Und er wollte natürlich eine Lösung für meine Probleme.
Kurz warf er ein, am einfachsten für ihn und auch für mich sei es, Psychopharmaka zu nehmen. Er las mir wohl am Gesicht ab, was ich davon halte und korrigierte sich schnell: Das würde er aber nie wollen, ich sei ja schließlich nicht geistig krank. biggrin
Blieb noch der Psychotherapeut, der mir helfen solle, meine Gefühlswelt so in den Griff zu bekommen, dass ich nicht mehr darunter leiden müsse.


Er sagte mir direkt, dass er mir niemals diese Wünsche so erfüllen könne, wie sie da aufgeschrieben seien. Denn er verstehe sie nicht und könne sie in keinster Weise nachfühlen. Es ist also nicht so, dass er es anders ausdrücken würde – er sagt, er empfindet das überhaupt nicht so. Und diese Art von Nähe engt ihn ein, die will er nicht. 

Ich sagte ihm, dass ich jetzt doch gar keine Lösung will, sondern einfach nur darüber reden möchte. Weil doch genau das in einer Partnerschaft drin sein muss: Dass man über ALLES reden kann. Ja, und dann redete ich - er hörte zu und schwieg.

 

Liebe Grüße, Lotte 

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