Guten Morgen lieber Michael,
je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bemerke ich, wie ich nach Erklärungen und Antworten suche. Es gibt so vieles was unklar ist (was ist mit der Tier- und Pflanzenwelt, z.B.) Da ist die Versuchung schon groß, sich einem "Glauben" zuzuwenden und dort alles beantwortet zu bekommen. Dabei wird mir immer klarer, dass sie auch nur Deutungen und Erklärungsversuche sind, die keinen Anspruch auf Wahrheit haben können. Man belügt sich also in gewisser Weise selbst, übernimmt man dies als Wahrheit. (Damit kenne ich mich aus und weiß wie gut das funktioniert )
Zu akzeptieren, dass vieles ungewiss bleiben wird, dass es keine Antworten gibt, und wir uns einzig und allein auf unser "Ahnen" stützen können - das ist aber gar nicht so einfach "auszuhalten".
Dass die Seele den Körper verlassen kann – darüber gibt es ja auch viele Berichte. Als ich von meiner Oma träumte, war sie nicht neben mir in meinem Schlafzimmer. Wir trafen und an einem mir unbekannten Ort. Es war ein gänzlich leeres Gebäude, "weiß" und hell; da gab es viele Räume, aber alles war offen einzusehen. Dorthin wurde ich von zwei „Wesen gebracht“ und es wurde mir angezeigt, zu warten. Aus der anderen Richtung kam dann meine Oma auf mich zu.
Falls das mehr als ein Traum war – und ich glaube, das war es – dann muss meine Seele, mein Bewusstsein, doch auch meinen Körper verlassen haben.
Ich würde so gerne so viel mehr darüber wissen!
Du schriebst einmal andeutungsweise von Deinem Erlebnis nach dem Unfall und dass Du annahmst, es sei ein Nahtodereignis gewesen. Das hat Dich vermutlich auch verändert, deine Ansichten. War für dich danach völlig klar, dass der Tod nicht das Ende ist?
Einen ganz lieben Gruß
Lotte
Liebe Lotte,
ich greife nur einen Gedanken von Dir auf, sonst müsste ich weiter ausholen. Was ich aber bei Gelegenheit gerne tue.
Es ist bequem sich in die Arme einer Religion sinken zu lassen. Wie alle Bequemlichkeit hat sie aber auch ihren Preis. Den des Buddhismus kennst Du. Eigenes Denken kann aber einsam machen und der Mensch ist ein soziales Wesen. Jede(r) muss deshalb für sich abwägen, wie der eigene Weg aussehen soll.
Ein Beispiel: Ich habe zufällig, beim Rad fahren, eine Gruppe von Zeugen Jehovas getroffen. Ich hatte eine Panne und wir kamen ins Gespräch. Alle waren unglaublich nett, aber die meisten bewegten sich geistig in der Dimension der Bibel. Ein älterer Mann war darunter, dessen Horizont weiter reichte. Wir treffen uns noch heute ab und zu, um über Gott und die Welt zu reden.
Der Unterschied ist einfach. Er glaubt an die Bibel als Gotteswerk, für mich ist sie eine Ansammlung von Geschichten. Einmal diskutierten wir über das Buch Hiob. Ich sagte, dass ich einen Gott, der so handelte, als nicht sehr „göttlich“ empfinde – oder es eben als Beweis ansehe, dass die Bibel aus „G ́schichteln“ besteht.
Er glaubt daran und muss damit gleichzeitig an einen Gott glauben, der offenbar mutwillig auch ganz schön fies sein kann.
Lustig fand ich in diesem Zusammenhang eine Passage des Morrie-Buches, indem Mitch und Morrie auf Hiob gekommen waren. Als Mitch Morrie fragte, was er davon hält, sagte er sinngemäß - ich glaube, Gott übertreibt da ein wenig. Da musste ich sehr schmunzeln, weil das der gleichen Grundhaltung entspricht, die für mich möglicher „Wahrheit“ nahe kommt.
Liebe Grüße, Michael
Lieber Michael,
ich möchte keine Kompromisse mehr machen. Und ich möchte nicht mehr an etwas glauben, auch wenn das bedeutet, dass es unbequemer wird.
In welcher Hinsicht kann eigenes Denken einsam machen?
Was ich hier mit Dir alles besprochen und für mich durchdacht habe, was ich dabei für mich selbst feststelle und in mir finde, das fühlt sich "wahr", echt und richtig an.
Auch wenn es bisher lediglich Bruchstücke sind und ich noch nicht wirklich weit gekommen bin.
Liebe Grüße, Lotte
Liebe Lotte,
viele Menschen brauchen das Gefühl, dass man ihnen zustimmt. Das gelingt umso besser, je mehr das Denken in einem allgemein anerkannten Bereich stattfindet. Vertrittst Du sehr pointierte Eigenmeinungen, kann es sein, dass Du nicht viel Zustimmung erntest. Es fällt den meisten Menschen schwer, das auszuhalten; deshalb nehmen sie lieber Meinungen an, mit denen man sich gemeinsamer Ansichten versichern kann.
Zum Beispiel: Wenn ich sage, mach einen Bogen um Ärzte, wenn Du krank bist , dann kann und darf ich nicht mit Zustimmung rechnen. Mein Wissen reicht aber aus, um eine Fülle von Argumenten für meine Meinung zu haben. Auf einen gemeinsamen Kompromiss mit einem Gesprächspartner (der in der Regel anderer Meinung ist), kann man sich nur noch dann verständigen, wenn man einräumt, dass Ärzte immerhin bei Unfällen gebraucht werden.
Liebe Grüße, Michael
Das war eine Unterhaltung wie ich sie mir schon immer gewünscht hatte. Ich freute mich jeden Tag auf Michaels Mails. Natürlich lebte ich dazu und „nebenher“ mein Familien- und Alltagsleben; und das verlief weit weniger erfreulich. Ich wurde von Gefühlen überrollt, die kaum noch kontrollierbar waren. Das machte mir Angst und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Zudem konnte ich keine für mich triftigen Gründe für diese negativen Gefühlswellen erkennen! Ich hatte doch nicht mehr Sorgen oder Probleme als sonst – warum also brandeten nun solche Emotionen in mir hoch? Woher kamen sie? Noch immer war ich nicht in der Lage, diese Dinge klar anzuschauen geschweige denn sie rundheraus auszusprechen. Dennoch wollte, ja „musste“ ich sie Michael mitteilen. Also band ich das, was ich hierzu sagen wollte in meine Antwort-Mail an Michael ein – so gut ich es eben konnte.
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