Anstatt aber nun alles, was ich nicht will, jetzt sofort aus meinem Leben zu werfen, frage ich mich lieber erst einmal, was ich denn an dessen Stelle setzen möchte. Sonst ist da nichts - wenn ich alles rausgeworfen habe.
Dein heutiger Text war sehr reif, liebe Lotte!
Und der Satz, den ich oben von Dir hineingestellt habe, trifft die Sache auf den Punkt. Bevor man alle alten Möbel rauswirft, sollte man wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon haben, wie man sich denn in Zukunft einrichten will. Sonst sitzt man lange am Boden und beschäftigt sich zuerst mit der Frage, warum man so radikal alles hinausgeworfen hat.
Ich verstehe sehr gut, dass Du Dich früher in Deiner Ehe zutiefst gekränkt, verletzt und verzweifelt fühltest. Möglicherweise hast Du für Dich nur Lethargie als Antwort gefunden. Kann sein, dass Du dabei Deine Gestaltungsfähigkeit verloren hast.
Vielleicht bist Du jetzt so weit, dass Du Dich langsam entfalten kannst. Du bist bis jetzt eine Knospe geblieben; nun versuche langsam die Blütenblätter zu öffnen.
All mein psychologisches Wissen (oder vielleicht besser: Ahnen), mein Traumdeuten, entspringt meiner Beschäftigung damit und keinerlei "Schulung". Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass ich richtig liege, aber mit herkömmlichem oder geschultem Medizinwissen hat das nichts zu tun.
Nehmen wir die Träume; wenn Du träumst, ein kleines Mädchen begehrt auf und sagt, hier stehe ich, ich kann nicht anders (Luther ) und Du denkst, dass hätte keine Bedeutung, dann irrst Du. Nur ist es ein Traum, den ich für Dich nicht deuten kann - aber er ist stark und er sagt eine Menge über Dich aus. Er steht in Verbindung mit einem tiefen Empfinden von Dir, das ich Dir nicht erklären, sondern Dich darauf nur hinweisen kann.
Also - schiebe die Dinge nicht weg, sondern versuche sie zu verstehen.
Liebe Grüße, Michael
Lieber Michael,
ich dachte mir schon, dass dein Wissen (oder Ahnen) aus eigenen Erfahrungen erwachsen ist, aus der intensiven Beschäftigung damit und nicht aus einer "Ausbildung" im herkömmlichen Sinn. Ich meine, da muss man eine gewisse Begabung und Neigung dafür mitbringen. Zudem muss man in der Lage sein, Zusammenhänge zu erkennen, zu verstehen und Erkanntes und Verstandenes miteinander zu verknüpfen.
Bisher ging ich davon aus, dass es genügt „zu fühlen“. Gefühle zeigten mir an, wo es hingeht. Inzwischen weiß ich es besser. Wie oft ist es so, dass ich fühle und fühle - und doch nicht wirklich verstehe. Zumindest nicht klar. Es bleibt beim „Gefühl“, beim Ahnen. Wie hier bei diesem Traum. Ich spüre, ahne, dass er „etwas sagt“ – aber ich sehe nicht klar, was das ist.
Ich weiß, dass du mir meine Träume nicht erklären kannst – es sind ja meine. Du musst mir auch keine "Lösungen" auf einem Tablett servieren. Ich schau ja hin. Dennoch sagt er mich nicht viel. Was sehe ich nicht? Zu diesem Mädchen habe ich irgendwie keine Verbindung. Es fühlt sich nicht an, als sei das ich – oder als hätte es etwas mit mir zu tun. Sie ist sogar ziemlich anders, als ich es bin.
Ganz viele liebe Grüße
Lotte
Liebe Lotte,
Du bist wirklich eine sehr interessante Träumerin!
Es ist kein Zufall, dass Du recht markante Träume hast. Sie weisen uns oft auf etwas hin, dass wir nicht sehen oder nicht sehen wollen. Es ist unser "größeres Ich", dass uns diese Hinweise gibt; wobei es egal ist, wie man es nennt: Seele, Über-Ich, Es, Unterbewusstsein. Als Meisterin des Verdrängens, bist Du auch eine Meisterin des Träumens.
Mit Deinen Träumen könnte man Lehrbücher für Traumdeutungen füllen.
Sie sind geradezu ein Beweis dafür, wie viel weiter und tiefer die Seele reicht als das körperliche Menschlein. Sie kommuniziert mit Dir, wenn sie meint, dass es wichtig ist. Schon lange schickt Dir dieses Über-Ich Träume, um bewusster zu werden (zum Beispiel Deinen Leichen-Traum). Träume bedienen sich einer eigenen Sprache, einer Bild-Symbol-Sprache. Wie alle Sprachen kann man sie durch Lernen nach und nach besser verstehen - wobei aber bei manchen Träumen auch Fehldeutungen nicht ausgeschlossen werden können.
Ich kann nur meine Träume wirklich authentisch interpretieren. Nur ich habe sie schließlich geträumt. Manche Deiner Träume sind für mich so offensichtlich, dass es leicht scheint, sie zu erklären. Aber jede Interpretation von außen kann fehlerbehaftet sein.
Das Mädchen in diesem Traum bist höchstwahrscheinlich Du (wer sonst sollte es denn in Deinem Traum sein ). Und das Mädchen sagt Bemerkenswertes (in etwa): Hier stehe ich, ich kann und will nicht anders (und wenn sie dabei verwest ). Das ist ein glasklarer Animus-Satz; kein Satz eines sich verströmenden Weibchens. Vielleicht ist dieses Mädchen gar nicht so anders als Du. Vielleicht hast Du jenen Teil von Dir weggesperrt (wie so manch anderes ) und Dich - aus welchen Gründen auch immer - so auf Gefühle gestürzt, dass Du nun Deine Animus-Fähigkeiten gar nicht mehr finden kannst.
Liebe Grüße, Michael
Ich vertraute Michael sehr, schätzte, bewunderte sein Wissen und auch seine Intuition. Doch achtete ich stets auch darauf, seine Sichtweisen nicht einfach blind für mich zu übernehmen. Auch das war ja eines unserer Themen – „nichts glauben, alles hinterfragen“.
Auch bei Michaels Interpretationen meiner Träume schaute ich genau hin. Ich nahm sie und spürte damit in meine Traumerlebnisse hinein. Und nur wenn sie sich auch stimmig für mich anfühlte, nahm ich sie für mich an. Interessant ist, dass Michael kaum einmal mit einer Deutung daneben lag. Und wenn das doch mal vorkam, waren es Nuancen, die wir aufdecken und klären konnten.
Hier, bei diesem Traum, spürte ich schnell, dass er ziemlich sicher richtig lag.
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