Liebe Lotte,
bei der Beschäftigung mit unserem jetzigen Thema muss man bedenken, dass es nichts zu wägen und messen gibt, weshalb die mechanistisch ausgerichtete Wissenschaft es als nicht existent betrachtet.
Ich verwende in dem Zusammenhang das Wort „Psyche“ als Ober-Begriff für das ganze menschliche Innenleben, mit den beiden schillernden Teilen Bewusstsein und Un-Bewusstsein. Den Begriff "Seele" lasse ich (vorerst) beiseite.
Für Freud war das Unbewusste in der Tat ein „Müll-Lager“; hauptsächlich für unerlaubt Sexuelles; dorthin wurde abgeschoben (dort hattest Du auch Deine Abtreibung „zwischengelagert“ und von dort funkte sie in Deine Träume ). Freud sah noch eine Instanz zwischen Bewusst-und Unbewusstsein, eine Art Zensur, die die Dinge so zurechtbiegt und „maskiert“, damit wir sie bewusst überhaupt ertragen können. Freud ist aus seiner Zeit zu verstehen, in der Sexualität wirklich noch ein Tabuthema war und es beim Nachforschen in weiblich, bürgerlichen Seelen in Wien um 1900 von sexuellen Nöten und Neurosen nur so wimmelte.
Jung sah das Unbewusste viel umfassender. Einerseits zwar schon als eine Stelle zum Abschieben, andererseits aber auch als einen Platz, an dem Bilder phantastischer Kategorie gespeichert waren. Bilder, die wir nicht gelernt, die aber in Märchen und Mythen eine Sprache haben. Auffällig dabei war und ist, dass sie in unterschiedlichen kulturellen Regionen sehr ähnlich erzählt werden.
Niemand kennt Anfang und Herkunft von Märchen und Mythen. Jung schloss daraus, dass sie niemandes individuelle Erfahrungen sind. Er griff zurück in eine Zeit, in der die menschliche Psyche noch viel mehr unbewusste Anteile als bewusste hatte - und sie den Tieren noch viel ähnlicher und näher war. In eine Zeit, in der nackte Angst und Überlebensnot herrschte und „wir“ die Welt bevölkert sahen von wilden Tieren und bösen Dämonen, mächtigen Göttern und den Geistern der Verstorbenen. Das ist gespeichert in einem kollektiven Unbewusstsein der Menschen, zu dem wir im Allgemeinen nur durch Träume Zugang haben. Die Archetypen sind meistens keine festumrissenen, exakten (Ur)Bilder, sondern eher Ur-Situationen.
Ich traue übrigens dem Unbewusstsein noch größere Leistungen zu. Ich nehme an, dass es auch eine Brücke in die „Anderswelt“ sein kann, aus der wir manchmal unbegreifliche Fähigkeiten borgen können: Telepathie, Hellsehen, Visionen, Kommunikation mit Verstorbenen.
Liebe Grüße, Michael
Lieber Michael,
und wieder stecken wir mitten drin in einem hochinteressanten Thema.
Ich verwende in dem Zusammenhang das Wort „Psyche“ als Ober-Begriff für das ganze menschliche Innenleben, mit den beiden schillernden Teilen Bewusstsein und Un-Bewusstsein. Den Begriff Seele" lasse ich (vorerst) beiseite.
Gut; der Begriff Psyche umfasst dann also alles was "unseres" ist, mit allem drin. Dazu gehören dann auch die Archetypen und das kollektive Un-Bewusstsein.
Diese Zensur, die Freud noch in uns vermutet hat, die wäre und ist dann auch unbewusst; etwas anderes würde ja keinen Sinn machen. Wäre sie bewusst, bräuchten wir sie ja nicht. Das Müll-Lager wird vermutlich bei vielen Menschen recht voll sein.
Ist es vielleicht so, dass man diesen individuellen Müllberg in sich erstmal "abtragen" muss, um zum kollektiven Unbewussten Zugang zu bekommen? Und um sich dieser Archetypen und unserem inneren Erbe bewusster zu werden? Ich meine, wenn wir darüber nachdenken und sie als Archetypen erkennen können, dann sind sie ja nicht mehr unbewusst.
Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag
Lotte
Liebe Lotte,
ohne sie mit GPS genau lokalisieren zu können, so vermute ich doch, dass die "Zensur" zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein steckt. Bedenke nur, wie sie bei Dir mit der Abtreibung funktionierte. Du hast sie ja nicht etwa vergessen, aber so weit nach hinten oder unten gedrängt, dass eine bewusste Beschäftigung damit nicht mehr stattfand.
Was diesen Verdrängungsmechanisumus betrifft, so versuche ich gar nichts zu verdrängen, beziehungsweise ich bemühe mich aktiv darum, dass so etwas nicht passiert. So dass nur wenig Müll herumliegt. Was aber nicht heißt, dass ich mir täglich Unangenehmes, Peinliches und Schreckliches ins Bewusstsein hole .
Unbewusstes, das in Träumen hochkommt, kann ich bei mir in zwei Kategorien einteilen: Einmal Ängste aus dem praktischen Leben (ich träumte eine Zeit lang oft, meinen Aktenkoffer irgendwo stehen gelassen zu haben, den ich dann überall suchen musste) oder Traumbilder (Archetypen) ohne Bezug zum Bewusstsein (einfach fliegen können oder Begegnungen mit Verstorbenen).
Liebe Grüße, Michael
Lieber Michael,
ich merke, wie schwer es mir fällt, bei diesem Thema Fragen zu formulieren und auch aktiv etwas einzubringen. Dabei ist es so sehr interessant! Und ich will darüber mehr wissen. Ich kann durchaus nachvollziehen was Du mir darüber schreibst, weil du alles sehr klar und verständlich formulierst , doch das Beleuchten eines Themas im Detail – darin bin ich nicht geübt. Oft verstehe ich das nicht, was ich in dem Buch lese.
Was zählt denn zu den Archetypen?
Wie kann man unterscheiden was nun persönlich Verdrängtes ist, welches nun wieder auftaucht, und was aus dem kollektiven Un-Bewusstsein kommt, also was ein Archetypus ist?
Träume, die mit unserem Alltag und unserem Leben nicht so viel zu tun haben, sind doch vermutlich nicht alle aus dem kollektiven Unbewussten. Ich z.B. habe viele Träume, die ich kaum mit meinem Alltag in Verbindung bringen kann. Das sind aber oft einfach nur Phantasieträume von anderen Welten.
ohne sie mit GPS genau lokalisieren zu können, so vermute ich doch, dass die "Zensur" zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein steckt.
Ja, wenn ich genau nachspüre, denke ich schon, dass es so ist. Sie sind irgendwo dazwischen – ohne sie genau lokalisieren zu können. Man erkennt im Nachhinein klar, dass man all das vorher „eigentlich“ schon die ganze Zeit über wusste, konnte es damals vor dem Bewusst-Machen aber dennoch nicht sehen und darum auch nicht darauf zugreifen.
Das war auch bei meinem Traum so, als ich nicht erkannte wer mich da schlug. Als du erwähntest wer es aus Deiner Sicht nur sein konnte, da wusste ich, dass ich es im Grunde schon die ganze Zeit über gewusst hatte. Diese Erkenntnis aber kam mir erst dann!
so versuche ich gar nichts zu verdrängen, beziehungsweise ich bemühe mich aktiv darum, dass so etwas nicht passiert. So dass nur wenig Müll herumliegt. Was aber nicht heißt, dass ich mir täglich Unangenehmes, Peinliches und Schreckliches ins Bewusstsein hole.
Nein, das wäre wohl auch ziemlich ungesund.
Über Verdrängung hatten wir ja schon geschrieben. Keine Müllberge - vielleicht ist das auch die Voraussetzung dafür, um die Teile in sich zu entdecken und zu entwickeln, die einem bisher noch fehlen.
Jung schreibt, man müsse erst "durch seinen eigenen Schatten" (das sei eine Engstelle), bevor man das kollektive Unterbewusstsein "findet" und sich mit den Archetypen aktiv und bewusst beschäftigen und auseinandersetzen kann. So hatte ich das gelesen. Und nun las ich gestern, dass dieser "eigene Schatten" von ihm zu den Archetypen gezählt wird. Er schreibt:
"Es werden nun drei Archetypen kurz besprochen, der Schatten, die Anima und der alte Weise......"
Was ist denn dieser "Schatten" nun? Ich dachte das sei der Teil von uns, den wir ausgelagert haben, unser Müllberg.
Viele liebe Grüße
Lotte
Liebe Lotte,
nimm das, was im wissenschaftlichen Gewand herumstolziert nicht zu ernst. Jung ist kein Schriftsteller, der sich um Klarheit bemüht. Er versteht sich als Wissenschaftler, der sich wissenschaftlich ausdrücken muss, um von seinen Kollegen ernst genommen zu werden.
Wichtig für Erkenntnissuchende ist, was klar, verständlich und nachvollziehbar ist.
Klar ist, wir haben unterhalb des uns bewussten Bewusstseins ein Un-Bewusstsein. Dort tummelt sich einerseits das, was wir dorthin abgeschoben haben und andererseits Urbilder der Menschheit; es völlig egal, ob wir sie Archetypen, kollektives Unbewusstes oder morphische Felder nennen.
Du kannst ganz praktisch davon ausgehen, dass Dein Monster ein klassisches archetypisches Wesen ist, in dem sich Deine Ängste in archaischer Weise manifestieren.
Schatten ist ein beliebtes Wort in der Psychologie. Im Grunde wird damit ausgedrückt, dass alles seine Kehrseite hat. Erinnere Dich an Dahlke mit seinen Schatten und Polaritäten. Sagt jemand, er sei dynamisch und fleißig, dann hat er (vielleicht) Angst vor dem Schatten, nämlich müde und faul zu sein.
Du kannst die Anima auch als Schatten des Animus und den Animus als Schatten der Anima sehen.
Liebe Grüße, Michael