„Lotte, hast du mal Zeit? Ich muss mit dir reden“.
Mein Mann stand vor mir und schaute mich an. Schlagartig stoben Emotionen und Gefühle in mir wild durcheinander.
Ahnte ich damals in diesem Moment, worum es gehen würde? Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Sicher bin ich mir, dass ich spürte, dass sich Gewichtiges ankündigte. Und ja - ich meine, ich wusste „es“. Nicht dass ich damals hätte sagen worum es gehen wird, nein, so war das nicht. Es war meine Intuition, die „wusste“.
„Ja“ antwortete ich nur.
„Lass uns draußen reden“, meinte er und ging auf die Terrasse.
Ich folgte ihm. Dabei fühlte ich mich seltsam unwirklich. Meine Beine schienen aus dem sprichwörtlichen Gummi zu bestehen, von dem so oft die Rede ist, während mein Herz schlug, als habe es soeben den ersten 100 Meter-Sprint seines Herzlebens hinter sich gebracht. Wie es dem Herzen meines Mannes ging, weiß ich bis heute nicht, vermute aber, es hatte einen ähnlichen Sprint absolviert.
Kaum saßen wir, begann mein Mann hastig zu sprechen. Darüber, dass unsere Beziehung ja schon länger nicht mehr gut sei. Wir würden kaum noch etwas gemeinsam tun und nur noch aneinander vorbei leben. Die Worte rauschten an mir vorüber, während ich gleichzeitig hellwach war.
Und plötzlich war er da, der Satz, der schon über längere Zeit unausgesprochen zwischen uns hing:
„Lotte, vielleicht sollten wir über eine Trennung nachdenken - ?“
Zögernd formulierte er diesen Satz als Frage und schob seine Erklärung ohne Unterbrechung nach, als wolle er das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen. Vor kurzem habe er sich in eine Frau verliebt. Die ginge ihm nun nicht mehr aus dem Kopf. Er könne nicht mehr schlafen, nicht mehr denken – und so einfach nicht mehr weiter machen.
Es war ihm deutlich anzumerken, wie schwer es ihm fiel, all das auszusprechen - und auch, dass er gespannt und unsicher auf meine Reaktion wartete.
Verblüfft und ungläubig hörte ich ihm zu. Obwohl wir doch schon lange keine glückliche Partnerschaft mehr führten, hatte ich damit überhaupt nicht gerechnet. Er war in eine andere Frau verliebt! Auch wenn mein Verstand in diesem Moment nicht gut arbeitete, so war meine Antwort dennoch spontan, kurz und klar. Ohne jedes Zögern sagte ich:
„Ja!"
Ich staunte selbst über mich. Meinem Mann war seine Erleichterung deutlich anzusehen, aber auch Überraschung. Mit dieser Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. Er schwieg.
„Magst du auch einen Espresso?“ Fragte ich in die Stille hinein.
„Ja“.
In der Küche angekommen versuchte ich zu begreifen, was sich in den letzten Minuten ereignet hatte. Es gelang mir nur mäßig. Zu surreal erschien mir alles und gar nicht, als erlebe ich gerade eine Szene meines wirklichen Lebens. Was geschah hier? Und - nebenbei gefragt - warum stand ich an der Kaffeemaschine um Espresso zuzubereiten, als sei heute ein ganz gewöhnlicher Tag?
Mit gefüllten Tässchen trat ich wieder hinaus in den Sonnenschein.
„Hier bitte"
„Danke.“
Langsam trank ich den heißen Kaffee, froh etwas zu tun zu haben. Das machte die Stille weniger laut.
Hier war also die Riesenwende meines Lebens, die ich mir herbeigesehnt und noch weit mehr gefürchtet hatte! Über die ich kaum nachzudenken wagte. Und nun saß ich mit meinem Mann kaffeetrinkend auf der Terrasse.
Verrückt!
Er berichtete von den letzten Wochen, die ihn stark beschäftigt und auch mitgenommen hatten. Nach und nach entwickelte sich eine Unterhaltung zwischen uns, wie ich sie mir in dieser Art früher oft gewünscht hatte – offen und ehrlich. Wobei wir zum Glück ohne gegenseitige Anklagen, Schuldzuweisungen oder Vorwürfe auskamen.
Das blieb natürlich nicht so. Die Tage, Wochen und Monate die nun folgten hatten es in sich. Ein über 25 Jahre gemeinsam geführtes Leben löst man eben nicht mal so mit leichter Hand auf. Dies ist weder sachlich noch emotional einfach.
Aber mein Mann und ich waren uns einig, unsere Trennung auf keinen Fall zu einem Rosenkrieg werden zu lassen. Schließlich gab es keinen Grund für Zorn, Wut oder „Rachegedanken“. Fair und „gut“ war das Ziel. Dass uns das gut gelang macht mich heute noch froh. Dass dies keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist, sah und sehe ich in meinem Umfeld immer wieder.
„Wie sagen wir es den Kindern?“ Dies war die nächste Frage, die sich uns stellte. Zwar waren beide schon erwachsen, doch auch erwachsene Kinder müssen solch eine Ansage der Eltern erst einmal verdauen und verkraften.
Bei einem Gespräch zu viert, das nur wenige Tage nach der Aussprache zwischen meinem Mann und mir stattfand, spürte ich, wie sehr die Ankündigung unserer Trennung vor allem unsere Tochter schmerzte. Zeit, behutsame Gespräche und Fingerspitzengefühl waren wichtig, um nicht unbedacht noch zusätzliche Verletzungen zu verursachen.
Der Prozess war schmerzhaft, brachte aber durchaus Positives im Bugwasser mit sich. Neue Wege und Sichtweisen eröffneten sich allen Familienmitgliedern dort, wo die Dinge früher in gewohnt-festen Bahnen verliefen. Das alte Familiengefüge war in der Schwebe, es gab plötzlich keine Gewohnheiten mehr, in die man hätte sinken können. So war es leichter, Neuem eine Chance zu geben.
Was mich bis heute glücklich macht, ist, dass es bei dieser Trennung keine Verlierer gab. Ich hätte mich sehr schwer damit getan, ein gutes Leben für mich aufzubauen in dem ich mich wohl fühle, würde es auf Unglück und Trümmern gegründet worden sein.
So locker und leicht, wie es hier nun anklingen mag, verlief die Trennung aber nicht. Verletzte Gefühle waren nicht zu vermeiden und nicht nur einmal hatte ich Angst vor … ja, im Grunde vor allem was da nun auf mich zurollen würde. Alles war unsicher, ungewiss und schwierig.
Leider schloss sich das Redefenster bald wieder, das sich zwischen meinem Mann und mir so wundersam geöffnet hatte. Mehr als einmal flammten in mir Wut und Zorn über das Verhalten meines Mannes auf. Ich tat mich schwer in dieser Übergangszeit und lebte diese Tage so gut ich es hinbekam. Manche davon mehr schlecht als recht.
Doch auch diese Zeit ging vorüber. Und dann kam der Tag, an dem wir hochoffiziell geschieden wurden. Ich hatte mir vorgenommen, diesen für mich so einschneidenden Tag sehr bewusst zu erleben. Und so war ich hellwach, erstaunlich gelassen - und neugierig! Schließlich würde das meine erste (und sehr sicher auch meine einzige) Scheidung sein. Wieder etwas, das ich so zum ersten Mal erlebte. Wie vieles in letzter Zeit.
Noch lebten mein Mann und ich unter demselben Dach und es hatte schon kuriose Züge, gemeinsam aus dem Haus zu gehen um gemeinsam zum Trennungstermin zu fahren. Ich erinnere mich gut, wie wir vor Ort erst einen Parkplatz, dann den Raum suchten, in dem das Prozedere stattfinden sollte. Die Anwältin nahm uns im Empfang und schließlich saßen wir uns gegenüber. Der Raum, die Anwälte und der Richter, die Wahl der Worte – mehrmals fiel der Begriff „die gegnerische Partei“ - all das verdichtete sich zu einer Stimmung, die mir das Gefühl gab, mein Mann und ich seien hier nun tatsächliche Gegner.
Nach ein paar Minuten schon war alles vorüber und wir verließen den Raum als geschiedene Leute. So schnell geht das also, und so unspektakulär; nun stehen wir hier als zwei Singles, dachte ich und fühlte mich unsicher. Was nun? Sollten wir - des besonderen Anlasses wegen – feierlich essen gehen? Oder doch nicht? Allem Anschein nach war mein niegelnagelneuer Ex-Ehemann nicht weniger unsicher; zögernd schaute er mich an. Schließlich beschlossen wir, einfach wieder zurück zu fahren.
Nach Hause.
Nach Hause? In wessen Zuhause? Wo war ich nun zuhause?
Nichts war mehr sicher und klar für mich; das spürte ich gerade an diesem Tag besonders stark. Doch mir war auch feierlich zumute. In meinem Noch-Zuhause angekommen ließ ich den Tag mit einem Glas Wein ausklingen. Lotte, geschieden und Single. Wieder und wieder kostete ich die für mich ungewohnten Worte, um sie mir vertraut zu machen.
Freiheit ... wie oft hatte ich darüber nachgedacht, was Freiheit ausmacht. An meinem Wein nippend fühlte ich mich frei und freute mich auch auf das, was nun kommen würde.