Die restlichen Chiemsee-Tage verbrachte ich damit, durch die Gegend zu streifen und am See zu sitzen. Ich trauerte; wie sehr Michael mir fehlte!
Dennoch waren es - auf ihre ganz eigene Art - auch schöne, gehaltvolle Tage. Ich war ganz still, ganz bei mir - spürte mich in meinem Kummer, aber auch jeden Sonnenstrahl; spürte, wie der Wind über meine Haut stricht; hörte jeden einzelnen Möwenruf, der über den See schallte. Alles war sehr intensiv.
Sehr viele Erinnerungen kamen, dazu Gedanken darüber, wie ich mein Leben weiter gestalten möchte, kann und werde. Was war nun zu tun? Michael war nicht mehr Teil meines Lebens. Aber all unsere Gespräche, seine Sichtweisen, all das, was wir zusammen für mich und mein Leben begonnen hatten, war ja noch da; für mich greifbar.
Und ich war noch hier - mein Leben wollte gelebt werden. Ich wollte es gut leben!
Ich dachte an die Geschichte einer Frau, die ihrem Geliebten schrieb, er sei der helle, leuchtende Stern an ihrem dunklen Firmament. Vermutlich wollte sie ihm damit ihre große Liebe bezeugen. Vielleicht fühlte er sich sogar geschmeichelt.
Schon damals hatten mich ihre Worte bestürzt, als ich sie zum ersten Mal las. Wie sehr war sie von diesem Mann abhängig! Nur er erhellte ihr Dasein. Und was sagte sie ihm zwischen den Zeilen? Letztlich doch: Du bist es, der für mein Glück verantwortlich ist. Welch eine schwere Last und auch Überforderung für den, der zum Stern erkoren wird. Bekommt so Liebe den Raum, den sie braucht, um zu gedeihen und zu blühen? Ich denke nicht.
Das ist sicher nicht das, was ich möchte. Weder möchte ich ein solcher Stern, und schon gar nicht will ich Besitzerin eines dunklen Firmaments sein!
Ja, Michael hatte mir ein besonderes Glitzern geschenkt, das sich über meine Tage legte - das ist so. Mit seinem Weggehen ist dieser ganz spezielle Glanz nun ebenfalls aus meinem Leben verschwunden.
Und das tut richtig weh, so sehr.
Doch es gibt weitere Arten von Helligkeit und Leuchten. Ich muss sie nur finden.
Ich bin es, die dafür Sorge zu tragen hat, Glanz und Leuchten in mein Leben zu bringen. Schließlich handelt es sich um mein Firmament und fällt somit in meinen Zuständigkeitsbereich.
Unsortiert kamen Gefühle und Gedanken wie sie wollten - und dann war es Zeit für die Rückreise.
Auf der Nach-Hause-Fahrt hatte ich das gute Gefühl, mit dieser Reise einen wichtigen Schritt getan zu haben. Ich hatte Abschied nehmen können. Ich bemerkte, wie ich innerlich aufgerichteter und auch stärker war, spürte frische Kraft und Entschlossenheit in mir.
Natürlich würden Zuhause dunkle und schwierige Phasen auf mich warten. Dass es ein langwieriger Prozess sein würde, bis der Boden unter mir wirklich stabil tragfähig sein würde, war mir bewusst. Doch ich spürte, dass der Anfang gemacht war - und dass es mir gelingen könne meinen ureigenen Weg weiter zu gehen - einen Weg nun ohne Michael.