Liebe Lotte,

 

Deinen Tag bei einem guten Glas Wein Revue passieren zu lassen, hast Du das wirklich so gemacht? Wenn ich jetzt ein bisschen ungläubig nachhake …

 

nur weil wir zuletzt von Märchen und Mythen gesprochen haben, heißt das nicht, dass ich Dir ein Märchen erzählt habe. smile Genauso wie ich es beschrieben habe, mache ich es auch.
Und wenn ich mich noch so sehr winde - über eine Fehlleistung - sie wird analysiert. Es geht dabei nicht darum, mich zu geißeln, sondern die Dinge so objektiv wie möglich zu sehen. Selbstverständlich gibt es auch Lob für gelungene Aktionen.

 

Aber so ganz verstehe ich immer noch nicht "was" das kollektive Unterbewusstsein nun ist, oder die Archetypen.

 

Warum, weshalb, wozu gibt es ein „kollektives Unbewusstes“?
Oder anders gefragt, hat es einen Sinn und wenn ja, welchen?
Wir haben uns anfangs viel über einen/den Sinn des menschlichen Lebens unterhalten. Mein Standpunkt war (und er hat sich inzwischen nicht geändert), ich kann zwar einen umfassenden Sinn nicht erfassen; aber nicht, weil es keinen gäbe, sondern weil ich zu klein bin, um ihn erkennen zu können. Deshalb lasse ich mich auch überraschen! smile

Wir bewegen uns bei diesen Fragen in einer philosophisch –religiösen Gedankenwelt, in der es keinen Anspruch auf „endgültige“ Wahrheit gibt. Deshalb sind für mich religiöse „Gewissheiten“ ähnlich falsch, wie das mechanistisch –atheistische Weltbild, dass alles aus Zufall entstehen lässt. Wobei dann als Ergebnis nur völlige Sinnlosigkeit übrigbleiben kann. Dazu ist das Universum bis zur subatomaren Struktur aber zu weise aufgebaut, als dass ich an so etwas „glauben“ könnte.

 

Über unzählige Generationen waren sich die Menschen sicher, einen immateriellen Teil zu haben, den sie Seele nannten -die beim Tod den Körper verlässt. Das Ich, das zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort sein Leben lebt, ist sterblich; aber es gibt wohl etwas, das größer ist als unser Ich –egal, wie man es nennt. Ich finde Seele ein gutes Wort. Freud hat es in seiner Psychoanalyse Über-Ich genannt, Jung das „Selbst“.

 

Wenn uns in Träumen "Korrekturen" nahegelegt werden, dann kommen sie wohl kaum von unserem sterblichen Ich, sondern eher von der Seele, dem Über-Ich oder Selbst.

Wenn die Seele merkt, dass sich das sterbliche Menschlein verirrt hat, greift sie in ihre archaische Bilderkiste, die mit symbolischen Bildern (Urbildern, Archetypen), gefüllt ist - die wir heute oft gar nicht mehr verstehen (weil sie so alt sind) - und gibt uns im Traum einen Tipp, auf welche Weise wir eine Situation besser und verständlicher einschätzen und bewältigen könnten.

 

Archetypen, Mythen und Märchen beruhen zwar auf kollektivem Unbewussten, sie kommen aber sehr individuell zum Einsatz.

Nehmen wir als Beispiel Deinen geträumten Archetypus Brunnen. Er spielt in der Menschheitsgeschichte eine sehr große Rolle, auch weil wir nicht lange ohne Wasser leben können. Eingebaut wird aber der Brunnen (archaisches Bild und nicht eine moderne Wasserleitung biggrin-2) in Deinen ganz individuellen Traum. In der archetypischen Traum-Bilder-Sprache sagt Dir Deine Seele, dass Du neue Lebenskraft schöpfen kannst.

Oder nehmen wir Deinen "Mord-Traum" als weiteres Beispiel:
Du bist bekanntlich nicht die erste Frau, die eine Abtreibung durchgemacht hat. Es gibt sicher ein grundlegendes Gefühl dafür, das ich als eine kollektive Frauenerfahrung ansehe. Trotzdem wird die Sachlage unterschiedliche, individuelle Aufarbeitung erfahren. Manche machen sich kaum Gedanken, andere denken ihr Leben lang darüber nach. Du hattest wohl ein sehr schlechtes Gefühl dabei – und hast es tief nach „unten“ verdrängt. Deine Seele fand das nicht so gut und schickte Dir deshalb diese aufrüttelnden Mord-Träume, damit Du Dich noch einmal damit beschäftigst. Jetzt, wo Du diese Aufgabe erfüllt hast, kommt die Botschaft wohl nicht mehr.

 

Dass viele Menschen keine Traumbilder mehr lesen können, ist höchst bedauerlich und hat damit zu tun, dass unsere Welt so materialistisch geworden ist, dass die „linientreue medizinische Wissenschaft“ und die ihnen hörigen Medien meinen, das Hirn spinnt in der Nacht ein wenig herum, nur um ja nicht in Erwägung ziehen zu müssen, dass es vielleicht doch so unwäg-und unmessbare Dinge geben soll, wie die Seele.

 

Das alles klingt zwar geheimnisvoll, aber nur deshalb, weil es geheimnisvoll ist. Es gibt aber viele Hinweise, dass ein solches Bild „wahrer“ und ehrlicher ist als die vorgestanzten Bilder der Religionen und Atheisten.

 

Liebe Grüße, Michael emoticones-1

Lieber Michael,


zu Beginn unseres Austausches über die Archetypen dachte ich mir, es wäre vielleicht gut, mir eine Auflistung der Archetypen zu machen. Auch um meine Träume dann besser deuten zu können.

Aber inzwischen habe ich erkannt, dass es keine solche Liste geben kann, da es die Archetypen „pur“ für sich allein nicht gibt. Sie erscheinen stets in Verbindung nicht nur mit unserer ganz individuellen Person, sondern auch mit der jeweiligen, ganz individuellen Situation. Wie will man das auflisten. Ein Brunnen bedeutet eben nicht immer dasselbe – sondern die Bedeutung dieses Archetyps ist stets mit mir und der ganz individuellen Situation verknüpft.  


Aber auch wenn man sie nicht auflisten kann, so sind sie doch so etwas wie das Alphabet einer Sprache, in der unsere Seele mit uns spricht. Sie nimmt aus dem kollektiven Unterbewusstseinspool das für diese spezielle Situation am besten passende "Urbild" heraus - denn das sollten wir eigentlich verstehen, da es ja unser menschliches Erbe ist. Nur haben die meisten Menschen diese Sprache vergessen, oder glauben es gäbe sie nicht.

 
Hätten wir meine Träume nicht gemeinsam besprochen, würde ich die Bedeutung, die Sprache nicht verstanden haben. Demnach ist es schon wichtig, die Archetypen zu er-kennen (auch wenn es keine Liste geben kann smile). Es ist wichtig diese „uralte Sprache“ zu lernen. Der Schlüssel zum Erlernen und Verstehen sind unsere Träume. Diese sind eben nicht nur dazu da, Erlebnisse des Alltages zu verarbeiten. Es gibt auch Träume, in denen unsere Seele mit uns spricht. smile Und wir tun gut daran, nachzuspüren, was sie uns sagen will.

Vieles in Jungs Buch empfand ich als kompliziert formuliert – nun habe ich das Gefühl, die Sache mit den Archetypen besser zu verstehen. Danke! emoticones 

 

Ganz viele liebe Grüße emoticones-1
Lotte

Liebe Lotte,

 

ich habe den Eindruck, dass Du es sehr gut verstanden hast! smile

Um es nicht zu verniedlichen: Nicht nur in Märchen, auch in den wichtigsten Shakespeare-Dramen (Hamlet, König Lear, Macbeth, Othello) werden archetypische Situationen klassisch behandelt. Mit der Beschäftigung damit kann man viel über die Archetypen lernen und erfahren.

Liebe Grüße, Michael emoticones-1

Vielleicht lag es an der intensiven Beschäftigung mit dem Thema; oder daran, dass meine Seele mir noch eine Menge mitteilen wollte – was immer auch der Grund war, das Träumen ging weiter.   

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